Patrick Conley und Karola Gramann:

Über die Verbindung von politischer und ästhetischer Radikalität

Ein Gespräch mit Helmut Herbst zur 1. Hamburger Filmschau 1968


Helmut, Du bist einer der Mitgründer der Hamburger Filmschau ...

... und der Filmmacher-Cooperative, die war vor der Filmschau.

Ist es dann so, daß aus der Filmmacher-Cooperative heraus ´68 die Filmschau entstanden ist?

Ja.

Die Entstehung der Coop resultiert ja wohl aus dem Bedürfnis, eigene Verleih- und Kinostrukturen zu schaffen.

Man muß dazu sagen, daß ich leider immer nur Vaterrollen gespielt habe, von Beginn ab. Daß ich also immer gleich in einer Situation war, für irgend etwas Verantwortung zu tragen, ohne mich damals selber als Experimentalfilmer gefühlt zu habe. Ich hatte bereits umfangreiche Produktionen an Zeichentrickfilmen, an Filmen für die Fernsehanstalten gemacht, die alles andere waren als nicht kommerziell. Es hat sich aus dieser Vaterrolle entwickelt, die schon vor der Coop bestand, wo Leute wie Costard oder Franz Winzentsen und Marquard Bohm ihre Filme bei mir produziert haben und ich der einzige war, der in Hamburg so etwas hatte wie eine Infrastruktur. Die Filmmacher-Cooperative war eine Gemeinschaft von Filmmachern, die sich zum Ziel gesetzt hatten, ästhetisch etwas ganz anderes zu machen als bisher und dafür auch ein Publikum zu aktivieren.

Wie sah denn die Situation des Films Ende der 60er Jahre in der BRD aus?

Darf ich etwas länger ausholen? Ich hatte ´59 ein Parisstipendium als Maler gehabt und habe in Paris das Kino entdeckt und auch die Leute von der Nouvelle Vague, die damals in der Rue d´Ulm in der Cinémathèque saßen, als die dort oben noch war. Dort habe ich zum erstem Mal Filme gesehen wie L´Age d´Or oder auch die deutschen Filme von Murnau, die mir alle kein Begriff waren. Nebenher liefen in den Kinos Filme von Ingmar Bergmann. Ich erinnere mich an Abend der Gaukler. Das war ein ungeheurer Eindruck, der mich veranlaßt hat, die Malerei mehr oder weniger aufzugeben. Ich bin dann zurückgegangen, habe Examen gemacht in Hamburg und habe festgestellt, daß es nirgendwo in Deutschland so etwas gibt wie in eine Filmausbildung. Deswegen sind Leute wie Schlöndorff nach Frankreich auf die IDHEC gegangen. Das erste, was es gab, war dann ´67 das Institut für Filmgestaltung in Ulm. Und bis dahin gab es weder eine Filmklasse noch irgend etwas vergleichbares, was auch nur in die Richtung einer Filmausbildung gezielt hat. Wir waren alle Autodidakten. Der normale Weg war, daß man über die damals etablierte Industriefilmszene in den Kurzfilm reinrutschte und sein Geld damit verdiente. So wie Reitz z.B. über den Industrie- und Werbefilm reingekommen ist.

Daß sieht man ja auch den Filmen der Oberhausener sehr deutlich an.

Ja, die Gruppe der Oberhausener, deren Mitglieder damals schon etwas fortgeschrittenen Alters waren und ein Ungenügen daran empfanden, einfach immer nur diese Industrie- und Werbefilme zu machen, repräsentiert das, was damals als kritisches Potential vorhanden war - vor den Hamburgern, vor einer ganz neuen Generation von wirklich radikal-ästhetischen, neuen Ideen. Ich habe mich immer so dazwischen gefühlt. Ich hatte keine große Lust, bei den Münchnern mitzumachen, obwohl ich Kluge kannte, und habe mich dann später erst auf die Seite der jungen Hamburger geschlagen, weil ich das, was sie gemacht haben, wichtig fand, und auch aus der Parallele heraus, die ich aus meinen kunsthistorischen Kenntnissen zu Dada gezogen habe. Ich habe mich damals sehr mit Dada beschäftigt. Eigentlich als Erster in Deutschland habe ich gesehen, daß das, was damals 1917, '18, '19 in Zürich und Berlin passiert ist, sehr viel mit uns zu tun hatte. Nämlich eine radikale Jugendkultur, das war es ja, ein Aufstand gegen etablierte Strukturen. Und aus diesem Wissen heraus, habe ich mich auf die Seite dieser Leute geschlagen und habe versucht, von daher dem Ganzen eine Struktur zu geben, ohne selber in dem Sinne Avantgardefilme zu machen. Ich habe radikal politische Filme gemacht und bin dabei eigentlich immer meinen eigenen Weg gegangen. Rückblickend erscheint mir das logisch, aber damals war das alles sehr heterogen, was ich gemacht habe. Dinge für Hallo Nachbarn, Panorama, politische Sketche, wo ich wußte, wenn der abends gesendet wird, sitzen sechs Millionen Leute vor dem Fernseher und lachen über den Witz, den ich gemacht habe - wenn ich Glück gehabt habe -, und nicht wie bei der Coop, die Freunde in der Eckkneipe. Das damals diese Karriere von mir beendet wurde, dadurch daß entweder diese Magazine verboten wurden, wie Hallo Nachbarn, oder daß mein Mentor und Ziehvater Pazcensky vom NDR rausgeschmißen wurde, das war für mich ein großer Bruch. Ich würde sonst, glaube ich, heute noch da sitzen und würde meine politischen Glossen machen.

Was steckt hinter dem Schlagwort vom Anderen Kino? Mit dem Oberhausener Manifest von 1962 hatte man sich doch bereits vom Nachkriegsfilm verabschiedet.

Das Andere Kino, das ist ein Begriff, den ich beim Film-In ins Spiel gebracht habe, also damals bei Grassmann bei der Veranstaltung Der Grüne Hase. Es gab damals in Hamburg Die andere Zeitung, eine am linken Rand angesiedelte Publikation. Von dort habe ich den Begriff eigentlich nur übernommen. Er wurde von allen akzeptiert und hat sich schon vor der Hamburger Filmschau etabliert. Die Thesen, die ich dazu formuliert habe, waren nicht meine Thesen, die waren Allgemeingut.

Mich interessiert der Gegensatz zum Jungen Deutschen Film. Was war das explizit Neue an Hamburg? Man könnte ja hingehen und sagen: ´68 ist doch schon alles gelaufen, was wollen die denn, da gab es den neuen Film doch schon?

Wenn man sich die ersten Kurzfilme von Kluge, z.B. Brutalität in Stein [Alexander Kluge u. Peter Schamoni, 1960, A.d.R.] ansieht, dann sind die doch von ihrer ganzen Machart her deutsche Industriefilme. Sie benutzen die Mittel von Leuten wie Khittl in München, Dörries, Vesely und was weiß ich. Sie haben praktisch nur die Ideologie ausgewechselt, und das haben wir damals kritisiert. Ich gehörte mehr oder wenig auch noch zu dieser Richtung. Aber was damals kritisiert wurde von den Radikalen wie Struck, Nekes, Dore O., Rosenthal, Costard, Wyborny, das war, daß sich ästhetisch nichts geändert hatte. Was sie wollten, war, eine Art Film zu machen, die mehr mit Malerei und bildender Kunst zu tun hat als mit Strukturen, die aus den Filmen übernommen wurden. Werner Nekes war Maler, Dore O. ist Malerin, Rosenthal und Thommy Struck kamen von der Kunst her. Costard war der einzige, der aus dem Universitäts-Film-Club kam. Das war eigentlich das tiefere Gefühl, was damals das Neue bezeichnet hat. Das es wirklich ein Kino war, das eine andere Quelle hatte. Es kam nicht aus dem gängigen Kurzfilm. Gute Kurzfilme, z.B. aus Polen, konnte man in Oberhausen schon immer sehen.

Viele der in Hamburg auftretenden Regisseure machten sich in ihren Filmen selbst zum Thema. Adolf Winkelmann schnallte sich eine Kamera vor die Brust und ging mit ihr - das Objektiv auf sich gerichtet - durch Kassel. Parallel zur Filmschau fand in Berlin der Vietnam-Kongreß statt. Also Selbstverliebtheit in Hamburg, Politik dagegen in Berlin?

Da haben Sie ein Lieblingsthema von mir angestoßen. Ich muß mal wieder auf Dada zurückkommen. Es ist ja durch meinen Dada-Film und durch meine Beschäftigung mit Dada sehr viel von der Ideologie und auch von den Äußerungen damals noch lebender Dada-Künstler in die Coop reingekommen, das hat alle sehr interessiert. Und Dada war ein ästhetisch-politischer Aufstand, wo die radikalen Ästheten und die radikalen Politiker eine Zeitlang Hand in Hand gearbeitet haben. In Zürich und anfangs auch noch in Berlin. Und dann hat sich eine Spaltung vollzogen, daß Leute wie Grosz, Heartfield, Jung und so weiter, die politische Kunst machen wollten, in die Partei gegangen sind, und die anderen, exemplarisch besonders meinetwegen Arp oder Max Ernst entweder zum Surrealismus übergetreten sind, mit dem kollaboriert haben, oder eben in die rein ästhetische Radikalität sich geflüchtet haben. Und die parallele Geschichte gab es auch in den 60er Jahren. Am Anfang hat niemand einen Unterschied gemacht zwischen einer ästhetischen und einer politischen Radikalität. Man hat das ganz stark empfunden, daß das zwei Seiten ein und derselben Münze waren. Und die Kraft, die damals diese Bewegung hatte, bestand ja darin, daß man eben diese neuen Sehgewohnheiten und diesen radikalen Bruch von ästhetischen Tabus, siehe z.B. Erotik, siehe z.B. Umgang mit der Sexualität, siehe Umgang mit der Politik, praktisch gleichgesetzt hat. Es liefen in einem Programm Kelek von Werner Nekes mit extrem - von der Bundesprüfstelle aus gesehenen - pornographischen Szenen und gleichzeitig lief ein Film Demonstrantenselbstschutz, der zeigte, wie man sich vor Polizeischlägen schützen konnte. Man stopft sich Zeitungen in die Kleider... So ganz praktische Hinweise. Oder es gipfelte in einem Film Ein Western für den SDS, wo gezeigt wurde, wie man einen Molotowcocktail macht. Das war ein und das gleiche Programm. Das hat sich erst in dem Moment getrennt, als die Sozialistische Filmmacher-Cooperative unter Alfred Hilsberg sich von der normalen Cooperative trennte. Als die politischen Filmer rausgingen und sich in den Dienst der arbeitenden Klasse stellten, wie man das so schön sagte, und ich, irgendwo dazwischen hängend, mehr zu den ästhetisch Radikalen tendierte, die sich um Leute wie Werner Nekes gruppierten.

Aber während in Hamburg die Filmschau gezeigt wurde, lief in Berlin der Vietnamkongreß. Gab es da nicht viele Regisseure, die gesagt haben: O.k., wir verzichten auf eins von beiden? Sie mußten sich ja entscheiden.

Als wir die Filmschau geplant haben, wußten wir nichts vom Vietnam-Kongreß. Ich habe dann noch eine Solidaritätserklärung mit formuliert, die dann auch verlesen worden ist.

Ich würde gerne noch mal auf diese Spaltung zurückkommen - eine politisch unkluge, unbrauchbare Spaltung zwischen den Dokumentaristen und den sogenannten Experimentalfilmern. Das Festival Oberhausen ist ein Beispiel dafür, wie dieser Konflikt gepflegt wurde. Es hat sehr lange gebraucht bis der Dokumentarfilm sich wieder anderen formalen und ästhetischen Mitteln zugewandt hat.

Das stimmt. Aber das hängt damit zusammen, wenn man es etwas vereinfacht ausdrücken will, daß die ganze Philosophie oder der Begriff der Moderne zusammengebrochen ist, soweit er eben auf Hegel, Marx, Freud und auf der Frankfurter Schule basierte. Was ganz furchtbar war und was sich eben sehr bald auch in Oberhausen abzeichnete, war, daß in den ersten Jahren die ästhetisch radikalen Filme zwar ihr Publikum fanden, dann aber nach und nach, als sich eben diese politische Welle bis in die Volkshochschulen ausbreitete, so ein Biedersinn und DKP- und Gewerkschaftsmief, der auch dazu geführt hat, daß es dann richtig Frontstellungen gab. Es gab dann eine absolute Frontstellung zwischen den ästhetisch Radikalen und den politisch Radikalen, wo man total vergessen hat, daß die ursprünglich mal Hand in Hand gearbeitet haben. Daß Werner Nekes z.B. auf der Anti-Springer-Demonstration vor dem Springerhochhaus gefilmt hat, oder daß wir damals den Film von Kurt Rosenthal Von der Revolte zur Revolution zusammen gemacht haben.

Nicht nur die Hamburger hatten auf den etablierten Festivals Oberhausen und Mannheim zunächst Schwierigkeiten. Aber mit der Hamburger Filmschau habt Ihr schließlich erreicht, daß die Filme, die in Hamburg gelaufen sind, dann auch in Oberhausen ein Forum hatten. An welche Grenzen das allerdings stieß, sieht man dann sehr schön an dem Fall Costard mit Besonders wertvoll.

Das war eine Art Jugendaufstand. Solche Dinge haben immer etwas mit Jugendkultur zu tun. Die Konsequenz daraus war, daß wir in Hamburg die Filmschau veranstaltet haben. Eigentlich aus dem Grund, daß wir sahen, daß es unglaublich viele Filme in diesem Bereich gibt und auch ein Publikum dafür, denn die Veranstaltungen waren ja ausverkauft. Wir haben mit relativ wenig Zuschüssen, allein durch zahlendes Publikum, ein sehr erfolgreiches Festival veranstaltet. Aus dieser Not, daß da Filme, die man sonst nirgendwo zeigen konnte, von Werner Schroeter oder Rosa von Praunheim, auch der erste Kurzfilm von Faßbinder oder die Filme von den Hamburgern... Es ist ja unglaublich viel damals zum ersten Mal überhaupt gezeigt worden. Juryfrei und in einer erstaunlichen Qualität. Aber als wir sahen, daß diese Filme dann doch mehr oder weniger auf den anderen Festivals liefen, daß es so was wie einen Durchbruch bei internationalen Festivals gab, bis hin zu Besonders wertvoll, was dann auf einmal eine Akzeptanz bis hinein in die vorher total verschlossenen Gremien der Filmförderung brachte, da haben wir dieses Festival auch wieder bleiben lassen. Der Bedarf dafür war nicht mehr vorhanden.

Was in Hamburg stattgefunden hat, steht in einem internationalen Kontext. Knokke ´67/´68 - obwohl ich gelesen habe, daß ihr vor dem 4. Experimentalfilmfestival Knokke die Filmschau zu organisieren begonnen habt - und das New American Cinema, das die Notwendigkeit unabhängiger Produktions- und Verleilbedingungen vorgeführt hat.

Das Vorbild, sowohl was die Produktion als auch den Verleih der Filme betrifft, war die New Yorker Filmmakers Coperativ, das war völlig klar. Der Kontakt war hergestellt durch P. Adams Sitney, der damals durch die Bundesrepublik getourt ist und mehrere Tage lang in Hamburg vor ausverkauftem Saal im Amerikahaus diese Filme gezeigt hat. Wir haben diese Filme in unserer Zeitung Filmartikel besprochen. Dieses Programm diente dazu, unsere eigenen Positionen zu definieren, die sehr nahe dran waren, die aber trotzdem europäisch waren. Von vornherein war so was, wie eine Art europäische Variante des amerikanischen Undergroudkinos angepeilt. Man darf auch nicht vergessen, daß auch die Wiener, also Kren, Scheugl, Schmidt, Weigel in der Hamburger Filmschau ihr Forum gefunden haben und auch die Schweizer. Die Hamburger Filmmacher-Cooperative war nach der Londoner Filmmacher Cooperative vom finanziellen Umsatz her die wichtigste Verleihcooperative, die es damals gab. Dann kam XScreen. XScreen war übrigens der erste Spaltpilz, wenn man das so will, weil die Kölner noch sehr viel radikaler waren als die Hamburger. - Die Münchner dagegen wollten etwas ganz anderes. Die Münchner wollte das deutsche Kino übernehmen. Das haben sie von vornherein gesagt. Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den Münchenern und den Hamburgern. Wir haben immer gesagt, wir machen einen Unterschied zwischen Film und Kino. Bei den Münchenern war das dagegen identisch. D.h., wenn die von Film sprachen, dann meinten sie damit Kino, und sie meinten damit auch, in dieser wunderschön naiven Geste, die deutsche Filmindustrie, die es damals noch in Bruchstücken gab, zu übernehmen. Und das haben sie ja dann auch gemacht. Was Werner Herzog mit so einem Film wie Aguirre allein von den Zuschauerzahlen, von der Wirkung und der Weltgeltung, die damals der Film hatte, geschafft hat, auch Wenders oder der Preis für Kluges Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos in Venedig [1968, A.d.R.]. Es war von vornherein klar, daß die das auch wollten, im völligen Gegensatz zu den Hamburgern. Das ist andererseits dann auch wieder die Krux, die die Hamburger in die Isolation geführt hat, und die bewirkt hat, daß das dann sehr skeptisch beäugt wurde, wenn irgendein Hamburger dann wirklich einen Spielfilm machen wollte. Ich habe damit heute noch zu kämpfen. Mich hat es aber viele Jahre überhaupt nicht interessiert, einen Spielfilm zu machen. Wir waren einfach überzeugt davon, daß für die Schriftstellerei die Schriftstellerei wichtiger ist als der Buchhandel, und die Münchner wollten den Buchhandel machen, d.h. sie wollten das Kino erobern. Wir haben auch durchaus die Meinung vertreten: Es gibt Filme, die sieht man 50 Jahre nicht, dann sieht man sie plötzlich und erkennt die Innovation. Diese Haltung gegenüber Film ist so diametral entgegengesetzt der - vergröbernd ausgedrückt - Münchner Haltung, daß es da sehr wenig Berührungspunkte gegeben hat und eigentlich auch keine echte Konkurrenz. Wenn man so will, haben die Hamburger mit ihrem ästhetischen Aufstand eine Basis geschaffen und den Suppentopf zum Brodeln gebracht, in den dann die Münchner erst ihre Würste reingeschmissen haben.

Man sieht das auch an der Filmkritik. Wenn ich an Patalas' Knokke-Kritik denke, wo noch zu lesen ist, daß man sich doch an bestimmte Regeln und Konventionen des Kinos halten möge. Das hat sich geändert. Der Zusammenhang zwischen innovativem Film und veränderter Kritik war ausschlaggebend für diese Zeit.

Das ist ein Kapitel für sich. Wir hatten ja eigentlich bis auf Uwe Nettelbeck, der in der Zeit geschrieben hat, und Kuhlbrodt, der, neben seiner Tätigkeit als Staatsanwalt, mehr und mehr seine kritische Liebe - bis hin dann jetzt als Schauspieler bei "Schlingensief" (lacht) - zum Film entdeckt hat, kaum jemand, der über die Hamburger geschrieben hat. Und es war völlig klar, daß wir das selber machen mußten. Wir haben damals Strategien übernommen oder neu erfunden, wie sie Dada auch hatte. Man war auf Konfrontation aus und hat aus dieser Konfrontation heraus dann die Publizität gezogen. Daß z.B. Costard einen Film ins Publikum projiziert hat. Diese Skandalnachrichten haben dazu geführt, daß die Hamburger publik wurden, aber man kann nicht behaupten, es habe in irgendeiner Form von irgend jemand so etwas wie ein ernsthafte Auseinandersetzung gegeben - mit ganz wenigen Ausnahmen eigentlich bis heute nicht. Es ist eine Erscheinung, die ich immer wieder bei Kritikern feststelle. Es ist etwas angesagt als Trend, darüber schreibt man, und das andere wird mehr oder weniger weiträumig umfahren. Als ich den Dada-Film ´68/´69 gemacht habe, da gab es keinen Kunsthistoriker, in Ansätzen vielleicht Schmalenbach, der überhaupt irgend ein paar Worte über Dada verloren hat. Es gab damals eine einzige Doktorarbeit von Prosenc, der sich als Soziologe mit den Dadaisten in Zürich beschäftigt hat. Das war das einzige, was es gab. So ähnlich war das auch mit dem Anderen Kino.

Was sind Ihrer Meinung nach die Auswirkungen, die die Filme von damals heute noch haben?

Die wichtigste Auswirkung ist sicherlich das, was man im Videoclip sehen kann. Ein bestimmtes ästhetisches Vokabular, das damals erarbeitet wurde, hat zu wirklich großen, wirtschaftlich erfolgreichen Umsetzungen geführt. Diese Leute, die die Videoclips gemacht haben, die haben alle in Filmclubs gesessen oder haben an Kunsthochschulen studiert, wo eben diese Filme bis heute ihr wichtigstes Publikum finden. Wenn man das Formenrepertoire besichtigt, was in diesen Filmclips angewandt wird, von Computeranimationen einmal abgesehen, dann ist das genau das Repertoire, das in Hamburg zum ersten Mal etabliert wurde. Es kommt noch ein Aspekt hinzu, über den wir noch überhaupt nicht gesprochen haben, und das ist der Aspekt der Recherche. Daß Filmmacher wie Werner Nekes sich ganz klar verstanden haben als Leute, die im Laboratorium arbeiten. Sie haben bestimmte Versuchsanordnungen ausprobiert: Einzelbildschaltungen, Mehrfachbelichtungen. Was kann ich mit ganz bestimmten filmischen Mitteln erreichen, wenn ich sie bis an die Grenze des Machbaren ausnutze? Dieser Aspekt der Forschungsarbeit ist nicht zu unterschätzen. Der war uns übrigens damals völlig klar. Und wenn es irgend einen Grund gab, wenn man sagte: Wo ist der Unterschied zwischen Spielfilm, normalen Kurzfilm und diesen Filmen, dann ist es der - auch in einigen Filmen von mir, insofern bin ich da ein Grenzgänger -, daß ganz klar bestimmte formale Aspekte auf ihre ästhetischen Möglichkeiten hin untersucht werden. Und das ist die Grundlage für das, was später in den Videoclips verarbeitet worden ist. Ich habe jetzt zum Beispiel Studenten, die haben einen Videoclip für MTV gemacht. Wir haben uns diesen Videoclip angeschaut, und man kann sehen, wo diese Bausteine herkommen. Obwohl die Studenten natürlich versuchen, gerade weil sie das wissen, auch darüber hinaus zu gehen. Was damals verboten war - kurze Schnittfolgen, Jumpcuts, Mehrfachbelichtungen oder Einzelbildaufnahmen - besitzt heute eine breite Publikumsakzeptanz.

Das gleiche gilt für die englische Popkultur. Regisseure wie Derek Jarman, John Maybury und Peter Greenaway kommen aus der Kunstszene, sind Maler. Sie alle haben Pop-Videos gemacht. Natürlich haben sie auch aus ökonomischen Zwängen heraus angefangen, in der Industrie zu arbeiten, aber dann genau all diese Elemente hineingebracht. Was in der Popkultur stattfindet ist an dem am 'Kunstfilm' interessierten Publikum lange vorbeigegangen.

Weißt du, was so wahnsinnig ist? Die Kritiker bei uns sind dermaßen auf ein ganz bestimmtes Kino fixiert, daß sie nicht sehen, daß bei uns in Deutschland eine Kultur von historischen Filmen wie Jarman und Greenaway nicht existiert. Das ist auch die Schwierigkeit, die ich jetzt mit meinem neuen Film habe. Die Serpentintänzerin liegt so neben dem Trend... Das Publikum akzeptiert das, alle akzeptieren das, aber keiner weiß, was er eigentlich damit anfangen soll. Es gibt in Deutschland keine Schublade dafür. Ich möchte noch mal in dem Zusammenhang auf die Münchner zu sprechen kommen. Es gibt ja Berührungspunkte. Reinhard Hauff z.B., obwohl er nie solche Filme gemacht hat, war immer ein ganz enger Freund der Hamburger Filmmacher. Er hat die Bewegung von Anfang an begleitet. Werner Herzog hat Wyborny bei Kaspar Hauser [Jeder für sich und Gott gegen alle, A.d.R.] herangezogen, für diese märchenhaften Teile, die in dem Film auftauchen. Wim Wenders, der selber mit experimentellen Filmen angefangen hat, hat eigentlich immer eine ganz starke Verbindung nach Hamburg gehabt, bis hin zum Amerikanischen Freund mit all den Filmspielsachen, die aus der Sammlung von Werner Nekes kamen.

Aber über das Politische daran erfährt man nichts.

Ja überhaupt über die gesellschaftspolitische Bedeutung, die das damals hatte. Das war ja auch meine Utopie: Filme wie Schwarz-Weiß-Rot, die eminent politisch sind, aber gleichzeitig versuchen, auf dem Gebiet des Zeichentrickfilms etwas völlig neues zu machen. Das Wichtigste scheint mir wirklich zu sein, daß es eine Zeitlang diese Verbindung zwischen ästhetischer und politischer Radikalität gegeben hat. Man kann sich natürlich heute fragen: Wenn Holger Meins damals in Frankfurt die Möglichkeit bekommen hätte, diesen Workshop mit arbeitslosen Jugendlichen aufzumachen, was er zu dieser Zeit wollte, oder wenn Ulrike Meinhof weiter ihre Filme im Märkischen Viertel oder beim Hessischen Rundfunk hätte machen können, dann wäre es unter Umständen nicht zum Terrorismus gekommen, zu dieser blödsinnigen, idiotischen Variante, die für mich übrigens viel mehr die Aspekte eines Happenings und einer künstlerischen Äußerung hat, als einer politischen.


Das Gespräch fand am 18. November 1992 in Brombachtal-Birkert (Odenwald) in der Wohnung von Helmut Herbst statt.



Abgedruckt in: Bilder malen, Filme malen. Die 1. Hamburger Filmschau von 1968.
Materialien zsgest. von Patrick Conley, Bettina Engels und Karola Gramann.
Frankfurt: Filmbüro Hessen, 1992. S. 5-10.